Viel Neues aus Brüssel

Solvency II. Die grundlegende Reform des Aufsichtsrechts für die Versicherungen in Europa löst weitreichende Konsequenzen für die Branche aus.

Ronald Laszlo, Leitung Enterprise Risk Management (Foto, © Ian Ehm)

Ronald Laszlo ist seit 1. Juni 2011 für die VIG tätig und leitet seitdem die Abteilung Enterprise Risk Management und das konzernweite Projekt zu Solvency II.

Die wichtigsten Ziele, die die Europäische Union damit verfolgt, sind ein verstärkter Schutz der Versicherungsnehmer sowie eine Vereinheitlichung der Aufsichtspraxis in Europa. Einheitliche Anforderungen an Kapitalausstattung und Risikomanagement sowie Berichtspflichten von Versicherungsunternehmen sollen diese Ziele sicherstellen und die Insolvenzwahrscheinlichkeit von Versicherungen reduzieren. Welche Herausforderungen gehen damit für die VIG einher? Eine Bestandsaufnahme.

Der Startschuss für dieses groß angelegte Gesetzgebungsprojekt der EU erfolgte bereits im Jahr 1999. Zehn Jahre später wurde die EU-Rahmenrichtlinie verabschiedet, die seither konkretisiert wurde. Solvency II soll schlussendlich per 1. Jänner 2016 in Kraft treten und muss dafür in nationales Recht umgesetzt werden. Soweit der Stand der Gesetzgebung.

Was ändert sich?

Im Vergleich zu den bisherigen unter Solvency I zusammengefassten Bestimmungen wird im Rahmen von Solvency II unter anderem die Berechnung der aufsichtsrechtlich geforderten Eigenmittel neu definiert. Wie hoch müssen die Eigenmittel einer Versicherung mindestens sein, damit ihr eigener Fortbestand und vor allem die Erfüllbarkeit der eingegangen Verpflichtungen zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden können?

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz einfach. Die Berechnung des Eigenmittelerfordernisses kann nach einem aufsichtsrechtlich vorgegebenen Standardmodell oder einem individuell entwickelten internen Modell (voll oder partiell) erfolgen, damit das unternehmenseigene Risikoprofil realitätsnah abgebildet werden kann. In manchen Fragestellungen ist das Standardmodell zu grob definiert, weshalb sich die VIG für die Einführung eines partiellen internen Modells entschieden hat. Im Schaden-/Unfallgeschäft und im Veranlagungssegment Immobilien wird das Standardmodell unserer unternehmenseigenen Ausgangslage nicht gerecht, während die hauseigene Modellierung unserem Risikoprofil Rechnung trägt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die neu implementierten Risikomanagementsysteme tragen künftig wesentlich zur Unternehmens- und Konzernsteuerung bei, womit sie nicht zuletzt auch die Position der VIG am Markt nachhaltig stärken.

3-Säulen-Ansatz

Verfolgt wird ein Drei-Säulen-Ansatz, den ich nur kurz erörtern möchte: In der ersten Säule werden quantitative Anforderungen an die Versicherungsunternehmen definiert. Ihren Kern bilden Vorschriften über die Berechnung der Eigenmittelanforderungen. Als zentrale Kennzahl dient die sogenannte Solvenzquote, die den errechneten Eigenmittelbedarf im Verhältnis zur tatsächlichen Eigenmittelausstattung ausdrückt. Die Solvenzquote muss deutlich über 100% liegen. Unterschreitet sie diese Grenze, wären die Interessen der Versicherungsnehmer ernsthaft gefährdet, und aufsichtsrechtliche Maßnahmen wären die Folge.

Die zweite Säule: Sie umfasst qualitative Anforderungen an die Geschäftsorganisation der Versicherungsunternehmen. Generelle Governance-Prinzipien werden durch sogenannte Schlüsselfunktionen verstärkt. Damit werden lang etablierte Kernaufgaben wie aktuariell und compliancerelevante Prozesse bis hin zu Risikomanagement und Innenrevision weiter gestärkt. Eine zentrale Aufgabe des Risikomanagements ist dabei auch die zumindest jährliche Durchführung einer unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (kurz: ORSA), quasi ein jährlicher Performance-Test hinsichtlich der definierten Geschäfts- und Risikostrategie. Dass dabei alle Einheiten mitarbeiten, versteht sich von selbst. Das ist gut und richtig so und auch ganz in der Tradition unseres Hauses.

Die dritte Säule: Sie definiert im Wesentlichen die Berichtspflichten der Unternehmen sowohl gegenüber der Aufsichtsbehörde als auch gegenüber der Öffentlichkeit. Vorgesehen sind ein jährlicher Bericht über die Solvabilität und Finanzlage (Solvency and Financial Condition Report, SFCR) sowie mindestens alle drei Jahre ein Bericht an die Aufsichtsbehörde (Regular Supervisory Report, RSR). Herzstück ist die quantitative Meldung – Tausende von Datenfeldern über alle Geschäftsbereiche hinweg. Ganz unbestritten auch eine IT-technische Mammutaufgabe.

Die VIG ist gut gerüstet

Solvency II stellt auch die VIG vor große Herausforderungen. Deshalb haben wir schon vor fünf Jahren ein konzernweites Projekt gestartet, das zentral von Österreich aus gesteuert wird und eine fundierte Vorbereitung sicherstellt. Mit tatkräftiger Unterstützung von Experten aller VIG-Konzerngesellschaften wurden einheitliche Richtlinien, Berechnungs- und Berichterstattungslösungen sowie die notwendigen Risikomanagementprozesse definiert und implementiert.

Darüber hinaus arbeiten wir intensiv an einem partiellen internen Modell, das durch die Aufsichtsbehörden in sogenannten Colleges vorevaluiert wird. Wir streben eine zeitgerechte Genehmigung an. In Summe ist die VIG dank der effizienten Steuerung der Risiken sowie der vorhandenen Kapitalstärke hervorragend gerüstet. Und dennoch, Solvency II bleibt spannend und wird uns auch in den nächsten Jahren vor neue Aufgaben, aber auch Erkenntnisse stellen.

Hinweis: Weitere Informationen zu Solvency II finden Sie im VIG-Konzernlagebericht (mehr lesen).

 

Analyse der europäischen Versicherungen

Stresstest

November 2014. Um zu überprüfen, wie krisensicher und risikoresistent europäische Versicherungen sind, führte die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA einen sogenannten Stresstest durch, dessen Ergebnisse im November 2014 veröffentlicht wurden. In unterschiedlichen Analysen wurde unter anderem hinterfragt, inwieweit auch in Krisenszenarien die Kapitalanforderungen nach Solvency II erfüllt werden können. Ausgangsbasis für den Stresstest war die Solvabilität gemäß Solvency II zum Stichtag 31. Dezember 2013. Hierbei zeigte sich, dass die VIG mit ihrer Solvabilitätsquote im oberen Mittelfeld der Top 30-Versicherungsgruppen liegt. Die darauf aufgesetzten Stress-Szenarien beinhalten u.a. Veränderungen am Kapitalmarkt als auch Naturkatastrophenereignisse. Die VIG hat alle durchgeführten Stress-Szenarien bestanden.