Interview

Antifragil durch Krisen“

Im Gespräch. Nassim Nicholas Taleb über Antifragilität und Lernprozesse.

Nassim Nicholas Taleb, Publizist (Foto, © Sarah Josephine Taleb)

Nassim Nicholas Taleb, geboren 1960 im Libanon, arbeitete als Derivatehändler an der Wall Street, bevor er als Publizist Furore machte. Sein jüngstes Buch „Antifragilität“ gilt als logische Fortsetzung seines Bestsellers „Der Schwarze Schwan“. Im Rahmen einer VIG-Konferenz im Jänner 2015 trat er als Impulsredner auf.

Nach dem „Schwarzen Schwan“ haben Sie nun mit „Antifragilität“ einen neuen Begriff geprägt.

Ich war für mein jüngstes Buch auf der Suche nach einem Wort, das das Gegenteil von „Fragilität“, also Zerbrechlichkeit, ausdrückt. Wir glauben ja, dass es beim Umgang mit Risiken reicht, Fragiles robuster zu machen. Aber das Gegenteil von Fragilität ist erst dann erreicht, wenn etwas bei einem Schock nicht nur nicht zerbricht, sondern stabiler wird. Wenn Sie einen Plastikbecher fallen lassen, zerbricht er nicht – er ist robust und bleibt unverändert. Wenn Sie einer Pflanze ein Blatt abschneiden, wachsen zwei Blätter nach. Sie ist antifragil und wächst, weil sie mit einem eigentlichen Schockerlebnis positiv umgeht.

Das heißt, die Wirtschaft braucht Schockerlebnisse, um zu wachsen?

Ja, aber es geht nicht nur um Wachstum. Bei hoher Stabilität verspüren Unternehmen keinen Druck, sich zu verbessern. Wir brauchen daher mehr Chaos, Volatilität und Krisen, um besser im Sinne von antifragil zu werden. In der Luftfahrt wird die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes durch jeden Absturz geringer, weil aus den Fehlern gelernt wird.

Gilt das auch für die Wirtschaft?

Wenn wir uns als Beispiel das Bankensystem ansehen, nein. Es ist auch nach einer jahrelangen Krise fragil. Fällt eine Bank um, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr weitere folgen – weil aus Fehlern der Vergangenheit selten Lehren gezogen wurden.

Was raten Sie Unternehmen?

Sie sollen nicht versuchen, Fragiles robuster zu machen, sondern sich davon trennen. Sie sollten sich mit Volatilitäten anfreunden und nicht versuchen, sie vorherzusagen oder zu verhindern. Der richtige Umgang mit Unsicherheiten macht Unternehmen stärker – und wenn sie aus Fehlern lernen, sogar antifragil. In einer dezentralen Organisation mit kleineren Einheiten, aber gemeinsamen Regeln, ist das leichter zu bewerkstelligen. Das ist wohl auch der Grund, warum die VIG diesen Prinzipien folgt.