Juraj Kotian vor der Wiener Börse (Foto, © Trend, Mano Štrauch)Hohe Dynamik. Die wirtschaftliche Transformation in CEE war und ist in jeder Hinsicht beachtlich.

Die Wachstumsaussichten in CEE sind intakt

Gastkommentar. Experte Juraj Kotian erläutert den wirtschaftlichen Aufholprozess Zentral- und Osteuropas. Und zeigt auf, wie die Menschen vor Ort davon profitieren.

Am 9. November 2014 jährte sich der Fall der Berliner Mauer zum 25. Mal. Tausende DDR-Bürger drängten sich damals am Grenzübergang Bornholmer Straße und erwirkten kurz vor Mitternacht die Öffnung der Schlagbäume. Die Berliner Mauer wurde knapp 30 Jahre nach ihrer Errichtung zur unrühmlichen Geschichte. Und auch in zahlreichen Ländern Zentral- und Osteuropas wechselten in weiterer Folge die politischen Regimes gleichsam über Nacht. Ein grundlegender und aus sozialer Sicht auch schmerzhafter Transformationsprozess war die Folge. Doch sein Erfolg kann sich sehen lassen. In vielen CEE-Ländern konnte während der letzten 25 Jahre die Wirtschaftsleistung gemessen am BIP pro Kopf mehr als verdreifacht werden. Die stärksten Volkswirtschaften dieser Region erreichen mittlerweile 70–80% des Niveaus der EU-15, und sie steigerten den Anteil der Privatwirtschaft am BIP von mageren 10% auf fast 80%.

Ein wichtiger Motor dieser Entwicklung waren die Erweiterungsrunden der Europäischen Union, die nicht nur den Wirtschaftsaustausch, sondern auch den strukturellen und politischen Wandel dieser Länder förderten. Doch der wirtschaftliche Austausch funktionierte rasch in beide Richtungen. Zahlreiche österreichische Unternehmen, darunter die Vienna Insurance Group in der ersten Reihe, erkannten die Gunst der Stunde, ihren Aktionsradius zu erweitern.

„In den meisten CEE-Ländern hat sich die Anzahl der Autos seit 1990 mehr als verdoppelt.“

Höherer Lebensstandard und Wohlstand

Doch welche Konsequenzen waren damit für die Menschen dieser Region verbunden? Die erste Euphorie wurde mancherorts bald eingetrübt, weil vielen der wirtschaftliche Aufholprozess und die Verbesserung der eigenen Lebensqualität vorerst zu langsam verliefen. Die tatsächliche Transformation war jedoch eine grundlegende, wie viele Wirtschaftsindikatoren beweisen. Ein paar Beispiele: In den meisten CEE-Ländern hat sich die Anzahl der Autos seit den frühen 1990er Jahren bis heute mehr als verdoppelt und erreicht beispielsweise in Polen und der Tschechischen Republik fast das Niveau Westeuropas. Die Verbesserung der Lebensqualität lässt sich auch daran ablesen, dass es immer weniger Haushalte ohne Waschmaschine, Internet- oder Telefonzugang gibt. So banal das klingen mag, so wichtig ist dieser Fortschritt im Alltag der Menschen vor Ort. Mit diesem zunehmenden materiellen Wohlstand steigt auch das Bedürfnis, diesen Wohlstand über Versicherungen zu schützen. Das diesbezügliche Aufholpotenzial ist jedoch immer noch groß. Während in Polen rund EUR 350 und in der Slowakei im Durchschnitt knapp EUR 400 pro Jahr für Versicherungen aufgewendet werden, beläuft sich der Vergleichswert für die EU-15 auf über EUR 2.700 und in Österreich auf etwas mehr als EUR 1.900.

Großteils robuste Wirtschaftskonjunktur

Die im Jahr 2008 einsetzende Finanz- und Wirtschaftskrise machte auch vor der CEE-Region nicht halt und dämpfte die Wirtschaftsdynamik gehörig. Einige CEE-Länder wurden indirekt dazu gezwungen, sich stark auf ihre eigene Stabilisierung zu fokussieren und die Basis für einen nachhaltigen Wachstumspfad zu setzen. 2014 war das erste Jahr, in dem ein breiter entwickeltes und damit nachhaltigeres Wirtschaftswachstum zu beobachten war. Der private Konsum gewann an Fahrt und auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen verbesserte sich. Die politische Krise zwischen der Ukraine und Russland wirkte sich nur geringfügig auf die Region aus. In Summe entwickelte sich die Wirtschaft im CEE-Raum robuster als im Euroraum.

Weitere Transformation notwendig

Zur Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufholprozesses der CEE-Region sind von der Politik wichtige Weichen zu stellen. Im Sinne einer nachhaltigen und wettbewerbsorientierten Wirtschaftspolitik sollte dabei nicht nur auf Wirtschaftssektoren mit niedrigen Arbeitskosten gesetzt werden. Vielmehr gilt es, attraktive Rahmenbedingungen für dynamische Branchen mit hoher Wertschöpfung zu schaffen. Zahlreiche erfolgreiche Unternehmen in dieser Region aus dem IT- und Elektronikbereich zeichnen schon heute den Weg vor. Diesen Weg durch Investitionen in die Infrastruktur, in die Bildung und die soziale Wohlfahrt zu unterstützen, ist das Gebot der Stunde. Aber das gilt für die CEE-Region ebenso wie für Westeuropa.

Zur Person

Juraj Kotian ist Ökonom und Leiter der Abteilung für Macro- und Fixed Income Research bei der Erste Group. Er hält unter anderem einen Abschluss für Wirtschaft und Finanzmathematik der Commenius Universität und ist Vorsitzender der slowakischen Gesellschaft für Wirtschaftsanalysen.