Kollektive Risikoübernahme ist wesentlich für das Funktionieren eines Wirtschaftssystems
Versicherungen haben über ihre Anlageportfolios eine nicht zu unterschätzende Wirkungsmöglichkeit. Das betrifft nicht zuletzt den Aspekt der Nachhaltigkeit. Ein Thema, das an Bedeutung gewinnt.
Was bedeuten Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung bei einer Versicherung?
Da lassen sich drei Schauplätze gesellschaftlich verantwortungsvollen Handelns lokalisieren: die Produktpolitik, die Anlagepolitik und die Beziehungen zu den Stakeholdern.
Basis einer Versicherung ist das Prinzip der kollektiven Risikoübernahme. Darum sind Versicherungsprodukte wesentlich für das Funktionieren eines modernen Wirtschaftssystems. Ereignisse, deren Folgen für den Einzelnen untragbar sind, verlieren ihren existenzbedrohenden Charakter. Das ist per se ethisch wertvoll.
„Wesentlich ist die gesellschaftliche Wirkung des Produkts.“
Wesentlich für die gesellschaftliche Wirkung eines Versicherungsprodukts ist, worauf es sich bezieht. Plakativ formuliert: Es macht einen Unterschied, ob sich eine Betriebsunterbrechungsversicherung auf ein Kohlekraftwerk oder auf eine Windkraftanlage bezieht. Es geht also um ein kluges und nachhaltigkeitsorientiertes Produktdesign.
Die Anlageportfolios von Versicherungen sind tendenziell konservativ, was grundsätzlich auch gut zu einer nachhaltigen Anlagestrategie passen würde. Hier fehlt aber oft noch das Bewusstsein für die enormen Wirkungsmöglichkeiten der Branche.
Die Beurteilung der Stakeholderbeziehungen der Versicherungsbranche fällt, trotz typischer Branchenprobleme, wie beispielsweise die Komplexität bei der Produkt- und Preisgestaltung, im Schnitt recht gut aus.
Welchen Stellenwert haben nachhaltige Investments und wohin geht die Entwicklung?
Einen stark wachsenden! Als ich vor 20 Jahren meine Abschlussarbeit an der Uni zum Thema Ethikfonds verfasst habe, gab es bei uns noch kaum entsprechende Produkte und ich flog in die USA, um die Protagonisten der Szene zu interviewen. Das ist heute völlig anders: Erstens hat sich die Initiative klar von Amerika nach Europa verlagert, zweitens sind die Marktanteile auf mittlerweile zweistellige Prozentbeträge gestiegen.
Mit einer Fortsetzung dieses Trends ist zu rechnen. Zunehmend realisieren Anleger, dass die Investmentsphäre Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Verantwortung ist.
Der VÖNIX ist der Nachhaltigkeitsindex am österreichischen Kapitalmarkt und basiert auf dem von Ihnen entwickelten Nachhaltigkeitsmodell. Was sagt es über ein Unternehmen aus, in diesem Index vertreten zu sein?
Ziel des VÖNIX ist es, die hinsichtlich ökologischer und gesellschaftlicher Leistung besten Unternehmen an der Wiener Börse zu identifizieren. Und hierzu zählen die jährlich neu ausgewählten rund 20 bis 25 VÖNIX-Mitglieder, darunter seit Indexstart 2005 auch die Vienna Insurance Group.
Dieser nachhaltige Aktienkorb performt langfristig um etwa 1 % jährlich besser als der ATX Prime.
Inwieweit ist dieses Gedankengut bei Unternehmen im CEE-Raum verankert?
Für CEE gibt es – betrieben durch rfu und Wiener Börse – seit 2009 ebenfalls einen Nachhaltigkeitsindex: den CEERIUS. Die Methodik ist die gleiche wie beim VÖNIX. Insofern haben wir seit vielen Jahren den direkten Vergleich.
Das früher klare Ost-West- Gefälle betreffend Nachhaltigkeit nimmt zusehends ab. Viele Firmen aus der Region unterscheiden sich in ihrem CSR-Management durch nichts von Unternehmen aus Deutschland, Großbritannien oder Skandinavien. Gleichzeitig sind jedoch an einigen osteuropäischen Börsen ökologisch Risikobranchen wie Bergbau, Erdöl und Erdgas besonders stark vertreten.
Die VIG befindet sich bei der Umsetzung ihrer CSR-Strategie aktuell bei der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse. Wie wichtig ist es für ein Unternehmen, sich beim Thema CSR auf das Wesentliche zu konzentrieren?
Absolut wichtig! Wie bei allen Managementaufgaben geht es auch bei CSR darum, die wichtigen und erfolgskritischen Felder zu identifizieren und die Ressourcen des Unternehmens möglichst effizient einzusetzen. Gerade bei einer Versicherung mit ihrer abstrakten Leistungspalette sind die wesentlichen Handlungsfelder oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Eine systematische Auseinandersetzung im Rahmen einer Wesentlichkeitsanalyse ist daher besonders wertvoll.
Zur Person
Reinhard Friesenbichler ist Spezialist für nachhaltiges Investment und Management. Er ist Gründer der Unternehmensberatung rfu, auf deren Nachhaltigkeitsmodell der Index VÖNIX basiert.
Nachhaltigkeitsindizes: die VIG ist 2016 im FTSE4Good und VÖNIX gelistet
FTSE4Good
Der FTSE4Good Index wurde entwickelt, um Unternehmen aufzuzeigen, die weitreichende Maßnahmen im Bereich Umwelt, Soziales und Governance setzen. Die Aktie der Vienna Insurance Group wurde Mitte 2007 in diesen globalen Index aufgenommen.
VÖNIX
Der erste österreichische Nachhaltigkeitsindex VÖNIX – VBV-Österreichischer Nachhaltigkeitsindex – setzt sich aus jenen börsenotierten österreichischen Unternehmen zusammen, die hinsichtlich sozialer und ökologischer Leistung führend sind. Die Aktie der Vienna Insurance Group ist seit Mitte 2005 in diesem Index vertreten.